Digitale Transformation
Wie Food Delivery den Einzelhandel bedroht
Pure Player können radikal agieren
Der Online-Anteil am Lebensmittel-Einzelhandel in Deutschland ist derzeit mit 0,3 Prozent noch verschwindend gering. Hohe Ansprüche an Kühlung und Transport machen das Geschäft mit der frischen Ware schwierig. Zudem ist das Filialnetz dicht: Im Durchschnitt erreicht ein Konsument den nächsten Supermarkt in sieben Minuten. Da überrascht es nicht, dass sich Start-ups erst Geschäftsfeldern zugewendet haben, die leichter zu erobern sind. Doch das wird sich ändern.
Eine Studie von EY, für die tausend deutsche Konsumenten und acht der Top-Ten-Lebensmittel-Einzelhändler befragt wurden, prognostiziert, dass im Jahr 2020 das Online-Geschäft bereits einen Anteil von zehn Prozent am Lebensmittel-Einzelhandel haben wird. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es bereits heute fünf Prozent. Der Gesamtmarkt wächst nicht – was online erwirtschaftet wird, geht also dem stationären Handel verloren.
Ein Problem für die Lebensmittel-Händler sind die geringen Margen: „Selbst wenn nur fünf bis zehn Prozent des Umsatzes auf neue Pure Player verteilt werden, kann das bei einer Marge von zwei Prozent dazu führen, dass kein Gewinn mehr erwirtschaftet wird, weil kritische Masse fehlt“, erklärt Christian Stummeyer, Managing Director der UDG Consulting.
Online wird wachsen, denn die Einstellung der Konsumenten wandelt sich: 36 Prozent der Befragten gehen der Studie zufolge davon aus, in einem Zeitraum von zwei bis fünf Jahren speziell Lebensmittel im Netz zu bestellen. Unter denjenigen, die für die gesamte Familie einkaufen, sind es sogar 64 Prozent. „Der Online-Lebensmittelhandel wird sich durchsetzen, dafür sprechen schon demografische Faktoren: Die Digital Natives finden es ganz normal, alles online zu bestellen, auch Lebensmittel. Und die Älteren sind mit dem Internet inzwischen auch vertraut und schätzen die Bequemlichkeit der Lieferung.“
Die Erwartungen der Kunden sind hoch: Die Befragten rechnen für die kommenden Jahre mit einer deutlichen Verbesserung des Online-Angebots sowie günstigeren Preisen bei gleichbleibend hoher Qualität. Überhaupt, die Preise: „Die Preissensibilität der Kunden in Deutschland ist generell hoch und online noch höher“, so Stummeyer. „Denn während ich offline für einen Wechsel erst einen anderen Laden aufsuchen muss, ist der nächste Shop im Web nur einen Klick entfernt.“
Unterschiedliche Preise im Netz und im Geschäft sind den Kunden nicht zu vermitteln – eine Herausforderung für Filialisten, die ihre Preise regional differenzieren. Deshalb müssen Käufer zum Beispiel bei Rewe im Netz den nächstgelegenen Markt für die Lieferung auswählen, bevor sie den Online-Shop betreten. Bei diesem Modell ist allerdings die Auswahl online nicht größer als im Laden selbst.
Von einem Vorteil profitieren alle, die sich in das Online-Geschäft mit den Lebensmitteln wagen: Da Lebensmittel häufiger als andere Waren gekauft werden, können Händler das Einkaufsverhalten ihrer Kunden gut erfassen – und ihnen auf dieser Basis personalisierte Angebote machen, die für die Kunden wirklich relevant sind und sie ans Unternehmen binden.
Für Stummeyer ist neben der Personalisierung die Logistik entscheidend für den Erfolg: „Neben den klassischen Lieferdiensten gibt es neue technische Ansätze wie Kühlboxen vor den Häusern oder andere neue Ideen. Walmart testet zum Beispiel gerade in den USA ein Modell, bei dem Kunden gegen ein Entgelt Ware für Anwohner mitnehmen.“ Andere Händler verharren im Status quo, doch das wird nicht mehr lange möglich sein.
„Wenn ein Pure Player mit tiefen Taschen kommt und den Markt aufrollt, müssen die etablierten Marken nachziehen, um ihre Kunden nicht zu verlieren“, erklärt Stummeyer. „Pure Player haben den Vorteil, dass sie radikal herangehen, mit neuen Logistik- und Unternehmensstrukturen. Ihr Nachteil ist: Sie haben keine Omnichannel-Erfahrung. Die etablierten Händler hingegen haben die Erfahrung auf dem hart umkämpften Markt, sind aber langsamer in den Prozessen.“ Mit 200 Milliarden Euro Jahresumsatz ist der Lebensmittel-Einzelhandelsmarkt zwar groß genug für Pure Player und etablierte Händler, aber nicht für alle von ihnen. „Etablierte Händler sollten deshalb jetzt eine Strategie definieren, die zu ihrer Positionierung passt, und daraus ableiten, wie sie sich online und im Cross-Channel positionieren.“